Die Gesetze des Erfolgs von der Reckstange aus betrachtet

Wenn ich Bücher von Sportlern in die Hand kriege, fällt mir sofort Nassim Taleb mit seinen schwarzen Schwänen ein. Im gleichnamigen Buch beschreibt er, dass der Friedhof voll sei mit namenlosen Wagemutigen. Auf einen Columbus kommen eben tausende jämmerlich ersoffener Seefahrer. Vorsicht ist also geboten, wenn einer aus seinem individuellen Erfolg allgemeingültige Lehren zimmern will. Zumal wenn er, wie der Autor Fabian Hambüchen, gerade mal dreißig ist.

Eine gute Kombination zwischen Profisportler und Profiautor

Das Buch „Den Absprung wagen“ hat mich aber positiv überrascht. Das liegt auch daran, dass mit Kai Psotta ein erstklassiger Sportjournalist mit am Werk war. Psotta hat den Lebens- und zu Teilen auch Leidensweg des „Turnflohs“ Fabian Hambüchen toll strukturiert und spannend in Szene gesetzt. Deshalb ist das Buch „Den Absprung wagen“ weit mehr als das, was man von „schreibenden“ Sportlern oft geboten kriegt, weit mehr also, als eine launische Aneinanderreihung von Anekdoten und Geschichtchen.

Den Absprung wagen – eine hollywoodreife Lebensgeschichte

Hambüchen, der sich noch nicht sicher ist, in welche Richtung er sich künftig bewegen will, hat sich schon als Vortragsredner ausprobiert. Dass er jetzt mit einem Erfolgsratgeber aufschlägt, ist deshalb folgerichtig. Und tatsächlich liefert seine Biografie sehr guten Stoff, um über die Bedingungen von Erfolg zu reflektieren. Sein früher Start als Kleinstkind in der Turnhalle, die „Familien-AG“, die frühen Erfolge als Jugendlicher, die Hybris nach den ersten großen internationalen Erfolgen, der „Absturz“ in Peking auf Platz drei, die Häme und der Neid von Kollegen, der Krach mit dem Vater und schließlich die Goldkrönung in Rio. Hambüchen erzählt das im Gespann mit Psotta so spannend, dass sich das Buch liest wie ein Krimi. Als Leser können wir mitfiebern. Wir erleben die Sekunden des Wirbelns am Reck wie Stunden. Wir hoffen selbst, nach den waghalsigen Drehungen, Schrauben, Salti, sicher zu landen.

Schwaches Fazit, starkes Buch   

Hambüchen gewährt in seinem Buch „Den Absprung wagen“ offene Einblicke in sein Seelenleben, seine zum Teil enormen Selbstzweifel, seine quälenden schlaflosen Nächte. Er zeigt auch, mit welchen Übungen ihm sein Onkel und Mentaltrainer Wege aus diesen emotionalen Tälern gezeigt hat. Absolut spannend, zu erfahren, in welcher Verfassung sich die Sportler durch die Wettkämpfe bewegen. Und faszinierend zu lesen, wie viel Disziplin, Fleiß und mentale Stärke es braucht, um mit einer kaum eine Minute dauernden Übung an die Weltspitze zu gelangen. Hervorragend, dass Hambüchen nur auf der allerletzten Seite versucht, seine Erfahrungen zu verallgemeinern – und sich dabei prompt vergallopiert. „Denken Sie groß!“ und „Sie schaffen das auch!“ Dass es eben gerade nicht so einfach ist, dass zwischen Scheitern und Erfolg oft nur Millisekunden liegen, genau das hat er gemeinsam mit Kai Psotta auf den 250 Seiten zuvor so eindrücklich beschrieben, wie man das selten liest.

Auch ein dritter Platz kann ein guter Platz sein

Fabian Hambüchen hat in seinem Sport erreicht, was man erreichen kann. Er wurde für viele zum Idol. Zu lesen, wie hart der Weg war und welche Techniken und Strategien er verfolgt hat, wird alle weiterbringen, die selbst etwas erreichen wollen – egal in welchem Bereich. Das gelingt mit dem Buch „Den Absprung wagen“ so gut, weil Hambüchen und sein Koautor nie zwanghafte Parallelen ziehen, sondern die Geschichte für sich sprechen lassen. So können Leser auf spannende Art und Weise einige der wesentlichen Faktoren für Erfolg kennen lernen. Und die Leser können noch mehr lernen. Sie können mit Hambüchen lernen, dass auch ein dritter Platz ein guter Platz sein kann. Wenn es am Ende dann doch noch für ganz oben reicht – umso schöner.

Wolfgang Hanfstein, www.Roter-Reiter.de

Fabian Hambüchen, Kai Psotta; Den Absprung wagen.

ISBN: 3424201731

Hier gehts zum Buch von Fabian Hambüchen „Den Absprung wagen“