Hopp oder top: Gut verhandeln
Stell dir vor, du hast eine harte Nacht hinter dir. Du hast schlecht geschlafen, es bahnt sich eine Erkältung an. Für das Frühstück bleibt keine Zeit mehr. Auf dem Weg ins Büro bist du in einen Stau geraten und kommst gerade noch rechtzeitig zu einem anstrengenden Mitarbeitergespräch, in dem der Vertriebsleiter eine Gehaltserhöhung fordert.
Und nun stell dir einen anderen Morgen vor. Du hast die Nacht zuvor exzellent geschlafen und zum Frühstück gab es fluffige Pancakes mit Ahornsirup. Du bist rechtzeitig von zu Hause losgefahren und hast in Ruhe einen guten Kaffee im Büro getrunken. Auch an diesem Morgen sitzt der Vertriebsleiter vor dir und fordert eine Gehaltserhöhung.
Nun die Frage: Glaubst du, dass das Resultat der folgenden Verhandlung in beiden Situationen das gleiche wäre?
Sicher nicht. Auch wenn die reinen Fakten immer die gleichen sind, so hängen die Resultate von Verhandlungen doch immer von anderen Faktoren ab. Wenn du den Kopf nicht frei hast, dich nicht gut fühlst – und dich noch über den Stau ärgerst, – hast du wahrscheinlich nicht die Kraft, dich auf dein Gegenüber einzustellen. Du bist nicht voll dabei. Dabei ist das „Verhandeln Gefühlssache“, sagt Martin Heß. „Was den exzellenten Verhandler vom Amateur unterscheidet, ist sein Gespür für die Situation und nicht nur sein explizites Wissen.“
Was passiert während Verhandlungen im Kopf?
In seinem Buch „Gut verhandelt“ zeigt der Diplom-Psychologe und Verhandlungsexperte, wie du inhaltlich und psychologisch gut vorbereitet in eine Verhandlung gehst und im heißen Tanz um Ergebnisse nicht den Kopf verlierst. Denn das ist das Wichtigste: die jeweilige Situation in Echtzeit bestmöglich erfassen, bewerten und darauf reagieren. Mehr geht nicht; „niemand kann in einer echten Verhandlungssituation wirklich wissen, was tatsächlich das Beste wäre, denn die Akteure beeinflussen sich gegenseitig und keiner hat das Geschehen allein unter Kontrolle.“
Für eine gute Basis bereitet Heß im ersten Teil seines Ratgebers die wissenschaftlichen Fakten auf: Wie funktioniert unser Gehirn unter Stress? Was ist ein Kommunikationsmodell? Wie baue ich mir schlüssige Argumente auf? Wie setze ich Emotionen richtig ein, um meinen Standpunkt zu verdeutlichen? Im zweiten Teil geht es dann in die Praxis, der Psychologe stellt das bekannte Harvard-Konzept für Verhandlungen vor. Aber er legt noch eine Schippe drauf und erläutert auch sein eigenes Phasenmodell des Verhandelns, das Ideen und Tipps zur Vorbereitung bis zur finalen Vereinbarung bereithält.
„Eine Verhandlung erzeugt Komplexität, wird häufig eigendynamisch und oft auch chaotisch“, sagt Heß. „Zu jedem Tipp, zu jedem taktischen oder strategischen Vorschlag im Bereich menschlicher Interaktionen, Wechselwirkungen und Spiele, wie es Verhandlungen sind, lassen sich deshalb in der Praxis beliebig viele Gegenbeispiele für Situationen finden, in denen eben auch das Gegenteil dessen wahr ist, was ein Ratschlag propagiert.“
Situationen richtig erfassen
So hatte sich der Vertriebsleiter vor seinem Mitarbeitergespräch vielleicht Horrorszenarien ausgemalt, wie eine Führungskraft, die ihn zu seinen Gehaltsvorstellungen auslacht oder vor Ärger sogar einen roten Kopf bekommt.
Die Realität war dann aber ein sehr müde wirkender Vorgesetzter, der ebenso müde abwinkte. Oder eine äußerst gut gelaunte Chefin, die ihn zu seinen Beweggründen befragte und ernst nahm. Deshalb schult Martin Heß die Lesenden dazu, die Situation richtig einzuschätzen und in dem Moment taktisch zu nutzen. Wenn du es fühlst, ist das Spiel schon halb gewonnen.
Roter-Reiter-Fazit
Martin Heß lässt die Leserinnen und Leser „fühlen“, wie erfolgreiches Verhandeln funktioniert. Denn auf eine schnelle Auffassungsgabe und ein empathisches Zugehen auf das Gegenüber kommt es hauptsächlich an. Wie das funktioniert, zeigt der Diplom-Psychologe und Verhandlungsexperte anhand von wissenschaftlichen Fakten und cleveren Taktiken.
Martin Heß: Gut verhandelt. Strategien, Taktiken und Methoden für erfolgreiche Verhandlungsführung
Wiley-VCH, 2024
288 Seiten, 29,99 Euro
ISBN: 978-3-527-51184-6