Ständig von Dilemmas umgeben? Willkommen im Club! Führungskraft zu sein bedeutet meist, immer wieder Entscheidungen zwischen Pest und Cholera treffen zu müssen, bei denen wir also nur verlieren könnten. Entweder fahren wir den Chef sauer oder die Kollegen. Oder wir vergrätzen die Kunden oder die Eigentümer der Firma. Und wenn es ganz dumm läuft, sind beide sauer. Weil wir ständig von Dilemmas umgeben sind, kommt schnell der Gedanke auf, dass wir irgendetwas falsch oder als Führungskraft einen schlechten Job machen.

Sicher: Nobody’s perfect! Wir alle machen Fehler, aber Dilemmas sind nicht die gelbe Karte für schlechtes Management. Im Gegenteil, Dilemmas sind die Eintrittskarte dafür, dass wir überhaupt am Management-Spiel teilnehmen. Denn so wie wir mit anderen Menschen zusammenarbeiten – egal ob in der Firma, im Verein oder auch im privaten Umfeld –, stehen wir unausweichlich Dilemmas gegenüber. Sie sind ein unausweichlicher Bestandteil einer jeden Organisation, jedes Unternehmen. Wir würden zwar gerne auf Dilemmas verzichten, können es aber nicht.

Aber eigentlich sollten Sie über die Dilemmas froh sein. Denn in vielen Fällen sind sie Ihre Daseinsberechtigung als Führungskraft! Wenn es nur Probleme nach Schema F zu lösen gäbe, bräuchte das Unternehmen Sie als teure Führungskraft nicht mehr. Schema F kann die Praktikantin billiger als Sie abarbeiten, der Kollege Algorithmus demnächst sogar noch billiger.

Wenn wir also auf Dilemmas nicht verzichten können, sollten wir einen intelligenten und entspannten Umgang mit ihnen pflegen.

Was sind Dilemmas?

Es sind jene Entscheidungen, bei denen wir scheinbar nur verlieren können. Der Duden definiert ein Dilemma als „Zwangslage, Situation, in der sich jemand befindet, besonders wenn er zwischen zwei in gleicher Weise schwierigen oder unangenehmen Dingen wählen soll oder muss“. Aber bei der Definition fehlt etwas: nicht nur sind die beiden Dinge schwierig und unangenehm, sondern beide sind in gewisser Hinsicht auch unverzichtbar. Eine Entscheidung wird dann zum Dilemma, wenn wir sie treffen müssen, obwohl wir weder das eine noch das andere wollen, aber letztendlich beides benötigen. Die Definition von Oswald Neuberger bringt daher Dilemmas gut auf den Punkt. Wir haben ein Dilemma, wenn

  • wir zwischen den Optionen entscheidenmüssen: Es herrscht Handlungsdruck und wir können die Entscheidung nicht auf die lange Bank schieben.
  • die Optionen gegebensind: Es geht nicht um irgendwelche hypothetische Dinge, die eintreten könnten, sondern um Optionen, die klar auf dem Tisch liegen.
  • die Optionen gegensätzlichsind: Die eine Option schließt die andere Option aus – und gleichzeitig brauchen wir beide Optionen.
  • die Optionen gleichwertigsind: Egal, wie Sie entscheiden, beide Entscheidungen sind gleich

Was sind die typischsten Dilemmas?

Dilemmas tauchen in den unterschiedlichsten Formen und Varianten auf. Doch lässt sich das Gros der Dilemmas in eine von vier Kategorien einordnen

  1. Bewahrung und Veränderung:Wenn wir die Dinge immer so tun wie bisher, sind wir als Unternehmen früher oder später nicht mehr wettbewerbsfähig. Bloß wenn wir alles ständig verändern, läuft eine Organisation Gefahr, im Chaos zu versinken, so mit der eigenen Reorganisation oder dem eigenen Change beschäftigt zu sein, dass sie gar nicht mehr dazu kommt, sich um die Kunden und ihre Anliegen zu kümmern. Die Organisation muss sich ständig verändern und gleichzeitig gleich bleiben.
  2. Fremdbestimmung und Selbstbestimmung:Als Vorgesetzte haben Sie nicht die Zeit (und vielleicht auch nicht die Lust), Ihre Mitarbeiter ständig zu kontrollieren, alle Entscheidungen selbst zu treffen. Dann bräuchten Sie die Mitarbeiter ja gar nicht erst einstellen. Doch allen Entscheidungen den Mitarbeitenden zu überlassen, geht auch nicht – schließlich sind Sie verantwortlich. Ständig zu kontrollieren ist ebenso wenig eine Option, wie gar nicht zu kontrollieren. Sie müssen Freiheiten einräumen, ohne Freiheit zu geben.
  3. Standardisierung und Individualisierung:Im Unternehmen werden Prozesse und Regeln standardisiert. Denn es zu teuer und zu zeitaufwändig, das Rad immer wieder neu zu erfinden oder zehnmal im Unternehmen die gleiche Kennzahl zu definieren. Doch gleichzeitig sind weder die Mitarbeiter alle gleich, noch die Kunden, noch die Spielregeln auf den unterschiedlichen Märkten und Marktsegmente. Also müssen wir immer wieder auf Einzelfälle eingehen – doch auch nicht allzu sehr. Das würde die Firma zu teuer und zu langsam machen. Wir müssen die Dinge standardisieren und gleichzeitig vom Standard abweichen.
  4. Konkurrenz und Zusammenarbeit: Wir brauchen die Kollegen, um gemeinsam Dinge zu erreichen, das Projekt abzuwickeln oder den Chef von einer Idee abzubringen, die uns allen nicht passt. Gleichzeitig konkurrieren wir mit unseren Kollegen um die Aufmerksamkeit des Chefs, die spannenden Projekte oder die wenigen Chancen, auf der Karriereleiter nach oben zu klettern. Wir müssen gleichzeitig konkurrieren und nicht konkurrieren.

Wie bekommt man Dilemmas in den Griff?

Dilemmas gibt es viele – leider. Und einige sind so vertrackt, dass sich keine befriedigende Lösung finden lässt. Glücklicherweise sind diese harten Nüsse aber die Ausnahmen. In den meisten Fällen lässt sich das Dilemma doch in den Griff kriegen. Dazu steht uns eine ganze Reihe von Ansätzen zur Verfügung:

  • Dilemmas mal aussitzen
    Die am meiste unterschätzte Möglichkeit, mit Dilemmas umzugehen, ist, das Dilemma bewusst zu ignorieren. Wenn wir uns von der Vorstellung verabschieden, dass in der Organisation alles immer perfekt sein muss, können wir eine ganze Reihe von Dilemmas einfach als Grundrauschen ignorieren. Das funktioniert natürlich nicht bei allen Dilemmas, aber in mehr Situationen als man anfänglich denkt.
  • Dilemmas an andere weiterreichen
    Bei einer ganzen Reihe von Dilemmas muss gehandelt werden. Das heißt aber nicht unbedingt, dass wir selbst handeln müssen. Schließlich haben wir ja noch Mitarbeiter oder auch Vorgesetzte, an die wir unser Dilemma delegieren oder auch eskalieren können. Manchmal haben diese die nötigen Ressourcen, um mit dem Dilemma besser umzugehen, als wir selbst.
  • Sich für einen der gegensätzlichen Pole entscheiden
    Manchmal sind bei näherem Hinsehen die beiden Optionen, zwischen denen wir uns entscheiden müssen, doch nicht wirklich gleichwertig. Da macht es Sinn, sich bewusst für den einen oder den anderen der beiden Pole zu entscheiden. Da es aber in der Natur eines Dilemmas liegt, dass wir auf den anderen Pol nicht vollkommen verzichten können, müssen wir damit rechnen, dass dies nur eine vorübergehende Lösung ist und wir das Problem früher oder später wieder auf dem Tisch haben werden.
  • Kompromisse finden
    In vielen Fällen können wir versuchen, das Dilemma mit einem Kompromiss in den Griff zu bekommen. Da viele Kompromisse aber ‚faule’ Kompromisse sind, ist mit das Dilemma dank des Kompromisses zwar erst al vom Tisch, früher oder später ist er aber so unbefriedigend, dass wir uns wieder mit dem Thema auseinandersetzen müssen.
  • Vom Entweder-oder zum Sowohl-als-auch
    Da wir bei einem Dilemma sowieso beide Pole brauchen, ist es, statt sich zwischen dem einen oder dem anderen Pol zu entscheiden, auch möglich, sowohl den einen als auch den anderen Pol anzusteuern. In der einen Situation bewegen wir uns nach links, in der andere nach rechts, für eine Weile geben wir im Beruf Vollgas, ein paar Jahre später schalten wir beruflich einen Gang zurück und kümmern uns eher um die Familie.
  • Ist es wirklich ein Dilemma oder sieht es nur so aus?
    Dilemmas entstehen, wenn wir uns zwischen wenigen Alternativen entscheiden müssen. In vielen Fällen gibt es aber neben den zwei oder drei Optionen, die wir vor Augen haben, noch eine ganze Reihe von anderen Optionen. Nur weil wir Opfer eines Tunnelblicks geworden sind und wir die anderen Optionen ausgeblendet haben, wird ein Problem zu einem Dilemma. Manchmal gelingt der Schritt zurück und es lassen sich weitere Optionen finden. Dann löst sich das Dilemma auf und wir haben das Problem langfristig vom Tisch.
  • Dilemmas auch einmal positiv sehen
    Zu viel Zufriedenheit führt schnell zu Selbstgefälligkeit. Der Umstand, dass uns eine Situation stört, wir uns mit einem Dilemma herumschlagen müssen, kann kreative Unruhe in einem Unternehmen auslösen. Eine ganze Reihe von Innovationen ist letztendlich eine Lösung für ein Dilemma. Not macht erfinderisch – Dilemmas auch!

Mitarbeiterführung: Ratgeber für Konflikte am ArbeitsplatzDas Buch zum Thema:

Christian Lebrenz (2018) Das Dilemma mit den Dilemmas: Warum Zwickmühlen das Leben in Organisationen bestimmen und wie wir besser mit ihnen umgehen können.metropolitan Verlag