Die Psychologin Sophie Seeberg arbeitet seit mehreren Jahren als Gutachterin fürs Gericht. Ihr täglich Brot: „Auffällige“ Familien in sogenannten Interaktionsbeobachtungen prüfen. Genauer: Seeberg klingelt an den Türen oft mittelloser und völlig überforderter Eltern, die meisten davon alleinerziehend. Es geht um eine einzige Frage: Sind die Kinder dort gut aufgehoben? Oder wird hier gerade ihre Zukunft aufs Spiel gesetzt?  Wenn dem so ist, heißt es: Jugendamt benachrichtigen und Sorgerechtsentzug stellen. Kein einfacher Job. Kein Job für Jedermann. Ein Job, der in Abgründe blicken lässt. In tragische und in komische. Manchmal ist es zum Lachen, meist zum Heulen.

Jetzt komisch, gleich tragisch

Ihre schockierenden Erlebnisse und Begegnungen hat Sophie Seeberg nun in ihrem Buch „Die Schakkeline ist voll hochbegabt, ey!“ zusammengefasst. Kein Sachbuch, das wertvolle Tipps an Pädagogen austeilt. Im Gegenteil: Seeberg berichtet über all die belastenden Besuche, Gespräche und Entscheidungen. Dabei stellt sie gleich in der „Vorwarnung“  – anstelle des Vorwortes – klar, dass es nicht darum geht, sich über die Familien lustig zu machen. Die Psychologin ist sich ihrer Verantwortung bewusst. Und weiß manchmal selbst nicht, wer ihr mehr Leid tun soll – die vernachlässigten Kinder oder die völlig überforderten Eltern.

Schakkeline – gesprochen wie geschrieben

In den Anekdoten, die teils witzig, manchmal traurig und oft einfach nur unglaublich sind, erzählt Sophie Seeberg vom ganz normalen Wahnsinn als Familienpsychologin. Zum Beispiel die titelgebende Geschichte der kleinen 6-jährigen Schakkeline, deren Name nicht nur so gesprochen, sondern auch genau so geschrieben wird. Ein Mädchen, das bereits die erste Klasse wiederholen muss und dessen Mutter trotzdem fest davon überzeugt ist: „Die Schakkeline ist voll hochbegabt, ey!“

Wenn ein Klischee nach dem anderen bedient wird – leider zu Recht …

Oder der völlig überforderte Herr Wischnewsky mit seinen Zwillingen Leonce und Lena. Dessen einzige Erziehungsmaßnahme darin besteht, in säuselnder Singsang-Stimme ohne jegliche Form von Nachdruck auf seine Kinder einzureden und permanent zu fragen „Wie fühlst du dich dabei?“ Seeberg weiß immerhin, wie sie sich fühlt: „(…) wie in einer lieblos produzierten Fernsehserie, die schlicht ein Klischee nach dem anderen bedient“. Das Tragische: Viele Klischees entpuppen sich als die reine Wahrheit.

Roter Reiter – Fazit: Schonungslos ehrlich berichtet die Familienpsychologin und Gutachterin Sophie Seeberg von ihrem außergewöhnlichen, oft anstrengenden und manchmal auch komischen Berufsalltag. Von ihren Begegnungen mit Menschen, die über ein „suboptimales kognitives Niveau“ (= die harmlose Bezeichnung von ‚strohdumm‘ vor Gericht und Jugendamt) verfügen und wie sie es schafft, trotz der manchmal kaum auszuhaltenden Bilder und Gerüche, den Spaß an ihrem Beruf nicht zu verlieren. Ein leider sehr ehrliches Buch.

Sophie Seeberg: „Die Schakkeline ist voll hochbegabt, ey!“, Knaur 2013

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Text: Lena Riedmann, www.roter-reiter.de