Jede Medaille hat bekanntlich zwei Seiten. Das gilt auch für Stress. Wenn wir über Stress reden oder lesen, so beleuchten wir fast immer nur die eine Seite der Medaille: die negative, die dunkle, die schlechte, die krank machende Seite. Und dann fragen wir uns, wie wir diesem schlechten Stress am besten aus dem Weg gehen können. Dazu gibt es ja inzwischen ganze Bibliotheken von Ratgeber-Literatur und Unmengen von Wochenendseminaren, in denen wir unsere ganz persönlichen Stressvermeidungsstrategien lernen. Fachleute nennen diese negative Form von Stress übrigens „Disstress“ (hergeleitet von der griechisch Vorsilbe „dis“ = „schlecht“).

Was bei diesen ganzen Stress-lass-nach-Therapien gerne übersehen wird: Es gibt auch die andere Seite der Stress-Medaille: die gute, die helle, die anspornende, die lebendige Seite des Stresses. Dieser positive Stress wird „Eustress“ gennant (von der griechischen Vorsilbe „eu“ = „gut“). Aber all dies wussten Sie vermutlich bereits. Ich wollte es zur Einstimmung nur noch mal erwähnen.

„Stress ist das Beste, was uns im Leben passieren kann“

Urs Willmann ist Wissenschaftsjournalist bei der Wochenzeitung DIE ZEIT und liebt Stress. Das ist insofern bemerkenswert, als Journalisten überdurchschnittlich häufig unter Stress stehen, was vor allem dem permanenten Termindruck geschuldet ist. Aber vielleicht gilt das nicht für ZEIT-Redakteure, ich weiß es nicht. Jedenfalls hat sich Willmann extra eine längere Auszeit aus seinem Job genommen, um in aller Ruhe ein Buch über die hellen Seiten der Stress-Medaille zu schreiben. Er gab diesem Werk den schönen Titel „Stress. Ein Lebensmittel“.

Es geht in diesem wohltuend leicht zu lesenden Buch im Kern um die Rehabilitierung der von den meisten Menschen so ungeliebten und verachteten Belastungsform namens Stress. Für Willmann dagegen ist Stress etwas Gutes, und als Beleg für diese Behauptung öffnet er eine riesige Schatztruhe voller Studien und Zitate kluger Männer, die das genauso sehen. Dabei behauptet Willmann gar nicht, mit seinem Buch eine ausgewogene Betrachtung des Phänomens Stress vorlegen zu wollen. Folgerichtig tut er dies auch nicht. Sein Buch ist bewusst einseitig und parteiisch, es ist, wenn man so will, eine Liebeserklärung an den Stress. Stress macht mich glücklich, das ist Willmanns Aussage. Und deshalb ist er froh, dass es ihn gibt. „Stress ist das Beste, was uns im Leben passieren kann“, behauptet er.

Auch beim Stress gilt: Die Dosis macht das Gift!

Und dann kommt er doch nicht ganz darum herum, ein bisschen auch auf die negative Form des Stresses einzugehen. Denn auch beim Stress gilt: Die Dosis macht das Gift. Willmann macht einen „Unterschied zwischen akutem und chronischem Stress“. Ersterer ist gut, letzter schlecht und macht krank. Stress ist im Beruf nur gut, solange er „in einem überschaubaren zeitlichen Rahmen“ stattfindet, also nur von kurzer Dauer ist. Dabei ist der negative Stress nicht auf die berufliche Situation begrenzt. Nochmals O-Ton Willmann: „Egal ob schlechtes Betriebsklima, schlechtes Raumklima oder das Klima vor der Haustür: Was unzufrieden macht, begünstigt chronischen Stress.“ Insgesamt empfiehlt Willmann „mehr Gelassenheit gegenüber Stress“.

Roter-Reiter-Fazit: „Stress. Ein Lebensmittel“ ist keines der üblichen Ratgeber nach dem Motto „Dieses sollten Sie tun und jenes sollten Sie lassen“. Es handelt sich bei diesem Buch um die Fleißarbeit eines  Wissenschaftsjournalisten, der Unmengen von Quellen gesichtet und verarbeitet hat. Allein der Abschnitt mit Fußnoten und Quellenangaben umfasst 15 Seiten. Ein empfehlenswertes Buch für alle, die sich auch für die helle Seite des Phänomens „Stress“ interessieren.

Damian Sicking, www.Roter-Reiter.de

Urs Willmann: Stress. Ein Lebensmittel. Pattloch Verlag, 304 Seiten 19,99 Euro ISBN: 3629130712

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