Wege aus dem Perfektionswahn

Mittwoch, November 12, 2014 Psychologie

Alltagssprachlich wird Perfektionismus gerne zu einer fast ehrenwerten Attitüde verklärt, einer kleinen Schwäche, die doch nur zeigt, dass der Betroffene seinen Job und seine Verpflichtungen ernst nimmt. Ein gefährlicher Trugschluss, sagt Autor Raphael Bonelli. Perfektionisten sind psychisch angeschlagen, sie ziehen sich und ihre soziale Umwelt in eine mentale Abwärtsspirale. Sie sind „Nörgler, notorische Pessimisten und humorlosen Querulanten“ konstatiert Bonelli in seinem empfehlenswerten Buch „Perfektionismus“. Sie haben eine „neurotische Angst vor der eigenen Fehlerhaftigkeit, die die Seele erstarren lässt.“

Die Sucht nach Bestnoten

Perfektionismus ist krank und macht krank. Die „irrationale Angst, nicht genug zu sein“, endet häufig in der Burn-out-Falle. Erst dann, wenn die emotionalen Verbindungsstricke zu Kollegen, Freunden und der Familie gerissen sind, bitten die Betroffenen um Hilfe. Der Wiener Psychiater Bonelli kennt die Leiden der Perfektionisten. In seinem Buch schildert und analysiert er insgesamt 77 Fälle von Menschen, die es einfach nicht gut sein lassen können, sondern immer eine Note besser auf ihrem persönlichen Zeugnis sehen wollen.

Imperfektionstoleranz

Die geschilderten Fälle handeln von der „Braut, die sich nicht traut“, vom Sex-Verweigerer, der sich selbst einen zu kleinen Penis „zumisst“ oder dem vermeintlichen Elite-Studenten, der das Examen vortäuscht, um seiner „Mama“ zu imponieren. Mitunter sind die Studien amüsant, meist aber tragisch. Und in einigen Fällen – das ist sicher beabsichtigt – erkennt sich mancher Leser unweigerlich wieder. Bonelli verschreibt selbstverständlich in seinem Buch auch die passende Heilmethode: „Imperfektionstoleranz“ heißt das Gegenmittel. Die befreit „von Ich-Sucht, Kontrollzwang, Anspruch auf Fehlerlosigkeit, Verbitterung und Fremdbeschuldigung. Innere Freiheit macht dagegen flexibel und unabhängig.“

Roter-Reiter – Fazit: Krankhafter Perfektionismus ist wie ein grassierendes Virus: Die Betroffenen können sich nicht selbst kurieren und machen ihre Angehörigen krank. Symptome, Krankheitsverlauf und Therapiewege schildert Bonelli aufschlussreich und spannend in seinem Psychoratgeber. Nicht wenige Leser werden sich in einem der knapp 80 Fälle wiedererkennen. Ein wichtiges und gutes Buch!

Oliver Ibelshäuser, www.Roter-Reiter.de

 

Raphael M. Bonelli: „Perfektionismus“, Pattloch 2014

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