Schöne neue (Arbeits-)Welt

Dienstag, Januar 21, 2014 Businesstrends

“Unsere Gesellschaft kann noch eine ganze Menge unproduktive Künstler, Privatgelehrte, Freaks, Gelegenheitsjobber Langzeitstudenten, Punker, Rumtreiber und sonstige Minderleister vertragen, aber nur wenige hyperaktive Leistungsträger.” Das sehr lesenswerte Buch “Die Tyrannei der Arbeit” von Ulrich Renz auf seine Einstiegs-These oder die finale Erkenntnis (“Nicht Geld, sondern Zeit ist unser kostbarstes Gut. Und glücklicherweise sind wir zumindest in dieser Beziehung nicht ärmer als Bill Gates”) zu reduzieren, würde Missverständnisse vorprogrammieren.

“Die Tyrannei der Arbeit” ist alles andere als ein Ratgeber für Aussteiger oder ein Manifest für Faulenzer. Nicht einmal ein Wegweiser für gestresste Manager, die noch schnell den Ausweg aus der drohenden Burn-out-Falle suchen. Stattdessen arbeitet Renz akribisch die Misere einer vermeintlich gesunden Leistungsgesellschaft auf. Motzt über “Arbeitsbesessenheit und Konsumobsession”. Und stellt einer Gesellschaft, die blindlings einem aberwitzigen Wohlstandsglauben hinterherirrt, ein vernichtendes Zeugnis aus.

Wie sich Arbeit zur Freizeit mogelt

Renz begibt sich mit soziologischer Spürnase auf die Suche nach dem wahren Wert der Arbeit. Pointiert und unterhaltsam zeigt er, dass die scheinbar schöne neue Arbeitswelt mit Kuschelecken im Büro und Designer-Espresso-Maschinen in der Küche noch lange keine Emanzipation bedeutet. “Der ideale Arbeitsplatz der Trend-Architekten sieht aus wie eine Kopie der privaten Welt, bloß schöner und aufregender.” Der Luxus am Arbeitsplatz wird bezahlt mit einem Entzug an Freizeit. Der Übergriff des Beruflichen ins Private zeigt sich nicht nur anhand der unausgesprochenen Forderung, per Handy und E-Mail immer erreichbar zu sein. Es geht auch um die Kumpanei mit Chef und Kollegen (“das Feierabendbier im Büro statt daheim”), das die Domänen Freizeit und Arbeit verschwimmen lässt: “Die Grenzposten der Freizeit sind längst im Museum der Begriffe gelandet: Feierabend, Testbild, Ladenöffnungszeiten – Seite an Seite mit dem, was einmal die Grenzposten der Arbeit waren: Werkstor, Stechuhr, Tarifvertrag.”

Wohlstandsverlierer

Im Schatten der Erfolgreichen und Besserverdienenden stehen die Wohlstandsverlierer, bei denen “die Chancen und Lebenswelten immer weiter auseinanderdriften. So hat sich, von der Politik gerne verschwiegen, “die Arbeitslosigkeit von Geringqualifizierten ohne Abschluss, die 1975 noch bei 6 Prozent lag, bis heute auf 25 Prozent vervierfacht”. Für die bleibt nur der Platz am Rand des Systems. Und der wird in der Überflussgesellschaft in ihrer “Fixierung auf Status, Luxus und Zirkusspiele” gerne übersehen.

Besser statt mehr

Bei all der messerscharfen Kritik belässt Renz es aber nicht bei kulturpessimistischen Anklagen. Die nachwachsende Generation “Y” kann zwar das Rad nicht zurückdrehen, wohl aber Wertmaßstäbe korrigieren. Das gilt für die Gier nach Wachstum, die Ausbeutung der globalen Rohstoffe und die Lebensentwürfe in den eigenen vier Wänden und am Arbeitsplatz: “Wir brauchen nicht mehr, sondern besser”, bringt es Renz in wenigen Worten auf den Punkt.

Roter Reiter – Fazit: Mit Ulrich Renz ist ein Mediziner angetreten, um das spannende und komplexe Thema “Individualisierung” endlich glasklar und sehr unterhaltsam auf den Punkt zu bringen. Wenn Sie wissen wollen, woran unsere Gesellschaft krankt und warum Politik und Wirtschaft bislang die passenden Heilmittelt nicht bereitstellen können (oder wollen), lesen Sie dieses Buch. Es ist ein absoluter Volltreffer!

Oliver Ibelshäuser, www.roter-reiter.de

Ulrich Renz: “Die Tyrannei der Arbeit”, Ludwig 2013

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