Datenschutz ist gut. Datenrechte sind besser!
Die Welt besteht aus Daten. Unser Einkauf bei Amazon. Unser Foto auf Instagram. Unser Like auf Facebook. Unser Lebenslauf auf XING. Unsere Suche bei Google. Unser aktueller Standort in WhatsApp. Unsere Laufrunde bei Runtastic. Unsere Hotelbewertung bei Tripadvisor. Alles Daten. Und es werden immer mehr. Big Data. In dieser Hinsicht hat sich in den vergangenen Jahren ganz schön was geändert. Früher gab es ja nur ganz wenige Daten. Das Geburtsdatum zum Beispiel. Heute sind alles Daten. Früher fragten wir jemanden nach seiner Telefonnummer und seiner Adresse, heute bitten wir ihn um seine Kontakt-Daten. Anstelle von Daten kann man auch von Informationen sprechen. Tun aber die Wenigsten. Auch Andreas Weigend nicht. Der frühere Chief Scientist von Amazon, Berater und Direktor des von ihm gegründeten Social Data Lab in San Francisco hat jetzt ein Buch veröffentlicht, in dem es auf 340 Seiten um nichts andere geht als um Daten. Der Titel des Buches – „Data for the People“ – gibt bereits einen Fingerzeig auf Weigends Botschaft: Die Daten, die vor allem von den Wirtschaftsunternehmen dieser Welt gesammelt und verarbeitet werden, müssen den Menschen zugutekommen und ihnen nutzen.
Was die Datenraffinerien machen
Auf der einen Seite stehen die Milliarden Menschen, die sekündlich Unmengen von Daten im Netz hinterlassen, zum Teil wissentlich und willentlich (z. B. Facebook-Posting), zum Teil aber auch nicht (z. B. Google-Suche). Auf der anderen Seite stehen die Unternehmen und Institutionen, die Weigend die „Datenraffinerien“ nennt. In Analogie zu den Ölraffinerien veredeln diese Datenraffinerien unsere Rohdaten zu wertvollen und vermarktbaren Produkten und Dienstleistungen. Was die Datenraffinerien hinter ihren hohen Mauern aber genau mit unseren Daten machen, wie sie sie verknüpfen, bewerten, sortieren und, und, und, all das wissen wir nicht. Das aber ist nicht in Ordnung und geht so nicht, sagt Weigend. Das muss sich ändern. Wir Individuen müssen die „Macht über unsere Daten zurückerobern“, fordert Weigend bereits im Untertitel seines Buches.
Die Lösung kann laut Weigend nicht darin bestehen, möglichst wenig Daten von sich selbst preis zu geben. Das Gegenteil sogar ist richtig, sagt er. Wenn wir von sozialen Daten profitieren möchten, müssen wir Informationen über uns teilen. Sonst geht die Rechnung nicht auf. Aber „der Preis, den wir bezahlen, und die Risiken, die wir eingehen, indem wir unsere Daten teilen, müssen durch die Vorteile, die wir erhalten, mindestens aufgewogen werden“. Transparenz und Handlungsfähigkeit sind die Schlüsselbegriffe in diesem Zusammenhang. Transparenz umfasst das Recht der Einzelnen, von ihren Daten zu wissen, welcher Art sie sind, wohin sie fließen und wie sie zu dem Ergebnis beitragen, dass der Nutzer erhält. Handlungsfähigkeit umfasst das Recht der Einzelnen, auf ihre Daten einzuwirken.
Sechs Grundrechte für mehr Transparenz und Handlungsfähigkeit der User
Da wir nicht davon ausgehen können, dass sich die Geschäftsführung jedes Unternehmens die Prinzipien von Transparenz und Handlungsfähigkeit von sich aus auf die Fahnen schreibt, fordert Weigend klar umrissene Rechte, die dabei helfen, Transparenz und Handlungsfähigkeit in fassliche, praktische Werkzeuge umzusetzen. Weigend hat sechs Grundrechte definiert. Sie lauten:
- Das Recht auf Datenzugang
- Das Recht zur Inspektion von Datenfirmen
- Das Recht auf Datenergänzung
- Das Recht, unsere Daten unkenntlich zu machen
- Das Recht, mit Raffinerien zu experimentieren
- Das Recht auf Datenmitnahme
Für Weigend stehen wir an einem Wendepunkt, wie die Beziehung zwischen den Menschen, die Daten erzeugen, und den Organisationen, die Datenprodukte und –dienstleistungen schaffen, definiert wird. Entscheidend für das Gelingen der „Datenrevolution“ ist die Veränderung unserer Denkweise. Weigend fordert uns dazu auf, unsere alte Haltung als passive „Konsumenten“, die akzeptieren, was immer man ihnen vorsetzt, zu überwinden und uns stattdessen eine neue Denkweise zu eigen machen, indem wir uns als aktive Mitschöpfer sozialer Daten verstehen.
Roter-Reiter-Fazit: Andreas Weigend hat das Thema der „Datenrevolution“ tief durchdrungen und geht souverän und kompetent damit um. Sein Buch „Data for the people“ ist ein wichtiger Diskussionsbeitrag auf hohem Niveau. Experten werden es mit Gewinn lesen. Weniger geeignet ist das Werk für Leser, die sich bisher noch gar nicht mit der Datenproblematik befasst haben und sich nur ein wenig schlau machen möchten. Das Buch liest sich zudem nicht von selbst, es ist aber verständlich geschrieben und weitgehend frei von Fachbegriffen, die nur Insider der Materie kennen.
Damian Sicking, www.Roter-Reiter.de
Andreas Weigend: Data for the people. Wie wir die Macht über unsere Daten zurückerobern. Murmann. 340 Seiten, 26,90 Euro, ISBN: 3867745684