Dass in der Wirtschaft mit harten Bandagen gekämpft wird, weiß jedes Schulkind. Vor allem im Einkauf und Verkauf brennt oft die Luft. Sicher kennen auch Sie Sprüche wie diesen: „Wer die Hitze nicht aushält, sollte nicht am Herd stehen.“ Soll heißen: Man muss hart sein, tough sein, um in der Wirtschaft seinen Mann (oder seine Frau) stehen zu können. Einkäufer im Lebensmittelhandel zum Beispiel oder in der Automobilindustrie sind für ihre „Partner“ auf der anderen Seite des Schreibtisches die unangenehmsten Gesprächspartner auf dem gesamten Globus. Wer es mit diesen knüppelharten Verhandlungspartnern, von denen so mancher vor keinem noch miesen Trick zurückscheut, aufnehmen will, der muss aus ebenso hartem Holz geschnitzt sein und über eine weit überdurchschnittliche Frustrationstoleranz verfügen.

Was ist schlecht daran, wenn man dem anderen die Butter vom Brot nimmt?

Das war schon immer so. Aber es ist in den vergangenen Jahren noch viel schlimmer geworden. Sagt zumindest Kurt-Georg Scheible in seinem neuen Buch „Ausgereizt!“ Untertitel: „Wie wir uns gegenseitig die Butter vom Brot nehmen.“ Scheible spricht aus Erfahrung: Seine Eltern standen von früh bis spät in ihrem eigenen Lebensmittelladen und bekamen die Macht des sicher verändernden Marktes durch die Discounter und Supermärkte hautnah zu spüren. Scheible selbst arbeitet jahrelang in leitender Position bei einem Automobilzulieferer und erlebte die beinharten Verhandlungen mit den Kunden hautnah mit. Auch heute als Unternehmensberater hat er tiefe Einblicke in die Szene. Mit anderen Worten: Er weiß, wovon er spricht. Und das, was er sieht, gefällt ihm nicht. Ganz und gar nicht gefällt es ihm.

Das rücksichtslose Gewinnstreben landet in der Sackgasse

In weiten Teilen des wirtschaftlichen Lebens, klagt er an, hat sich „ein Handeln durchgesetzt, das vom rücksichtslosen Gewinnstreben angetrieben wird“. Was ihm vor allem gegen den Strich geht, ist das, was er „die vom Nutzen befreite Gewinnmaximierung“ nennt. Am Beispiel des Lebensmitteleinzelhandels, der Automobilbranche, der Selbstständigkeit, der Gesundheit, des Finanzwesens und des Gesundheitscoachings zeigt Scheible auf, wie sich die Grenzen im Vergleich zu früher verschoben haben und wie dabei moralische Werte immer geringer eingeschätzt werden. Die ganze Richtung ist falsch, sagt Scheible, wir befinden uns in einer Sackgasse, und irgendwann fahren wir gegen die Wand. Es sei denn, wir kehren um und schlagen einen anderen Weg ein.

Aber welchen? Und wie? Scheible gesteht selbst, dass er keine Lösung für diese Fragen hat. Mit seinem Buch möchte er uns Leser zum Selberdenken, zum Weiterdenken und zum Suchen nach eigenen Lösungsansätzen ermuntern. Denn das Treiben der Bosse kann auch uns Verbrauchern nicht egal sein: Letzten Endes müssen wir uns mit schlechten Produkten herumschlagen, die wegen der „vom Nutzen befreiten Gewinnmaximierung“ der Industrie vom Band fallen.

Roter-Reiter-Fazit: Mit seinem Buch „Ausgereizt!“ wirft Kurt-Georg Scheible einen informativen Blick hinter die glänzenden Fassaden unserer Unternehmen und Konzerne. Dass dort mit harten Bandagen gekämpft wird, war uns ja klar. Mit welchen miesen Tricks aber mitunter der Verhandlungspartner mürbe gemacht und über den Tisch gezogen werden soll, das ist erschreckend und widerlich. Auch wenn Scheible keine Lösung anbieten kann – es wäre zu wünschen, dass sein Buch die Diskussion darüber anstößt, wie wir aus dieser Sackgasse herauskommen.

Damian Sicking, www. Roter-Reiter.de

Kurt-Georg Scheible: Ausgereizt! Wie wir uns gegenseitig die Butter vom Brot nehmen. Gabal, 245 Seiten, 24,90 Euro, ISBN: 3869366966

Dieses Buch jetzt bei Managementbuch.de bestellen!