Vis-à-vis mit dem Mörder

Mittwoch, Februar 26, 2014 Businesstrends

„Keine Angst, ich werde dich nicht töten.“ Das ist der Einstiegssatz in das Buch „Monster“ und die Lebensversicherung für den Autor. Micael Dahlen beschreibt seine Begegnungen mit Massenmördern. Er protokolliert ihre Geschichten, ihr Leben im Knast, ihr abstruses Triumphgehabe und manchmal auch die Reue. Dahlen hat sich seine Interviewpartner bewusst herausgepickt. Nicht irgendwelche Zufallstäter wollte er treffen, sondern die „Stars“ unter den Verbrechern, die Massenmörder im Rampenlicht, die Täter, deren Gesicht Zeitungsartikel und Buchcover zieren und deren Geschichten nahezu jeder lokale TV-Sender erzählt. Dafür ist Dahlen um die ganze Welt gereist. Er kennt die Gefängnisse in Kopenhagen und Kalifornien, er flog nach Japan, um mit einen Kannibalen zu sprechen („Menschenfleisch, das an feinen Thunfisch erinnert“). Er sucht Antworten auf die Frage, wie „eine Person, die das abscheulichste aller menschlichen Verbrechen begangen hat, zum Gegenstand der Bewunderung und Vergötterung wird.“

„Als ich anfing, mit den Monstern zu wandern“

Nicht von psychologisch-wissenschaftlichem Interesse wird er dabei getrieben, sondern von einer beinahe kindlichen Faszination von der dunklen Seite („so berühmt, dass ich nie zu hoffen gewagt hätte, ihn jemals zu treffen“). Er will das Böse portraitieren wie ein Maler sein Modell. Mal begegnet er den Bestien naiv und „mit großen Augen“, dann wieder voller Angst und Ekel. Wie dem dänischen Massenmörder Lundin („Menschen mit bloßen Händen getötet, verscharrt oder in kleine Stücke zerhackt. Und im Gefängnis verbringt er Zeit mit Marathonsex“), der sich im Knast wie ein Pop-Star aufführt und seine weiblichen Fans eindringlich darum bittet, keine weiteren Liebesbrief zu schreiben.
Dahlen besucht auch Charles Manson („Ich bin Jesus“), der als Sektenführer und Massenmörder zweifelhafte Berühmtheit erlangt hat und seither „eine Industrie mit Millionenumsatz“ begründet: „Platten, Hemden, Becher, Handtücher“ – der Mörder ist im bürgerlichen Alltag der Amerikaner längst zu Hause. Dahlen lernt von ihm, dass „es keine Rolle spielt, was exakt geschehen ist, viele verdienen dennoch daran.“ Manson ist nach wie vor ein Sender und Blender, eine „Lichtgestalt“, die „die ganze Bevölkerung loswerden“ will. Es ist unmöglich, so Dahlen, ihm teilnahmslos gegenübertreten: Völlig durchgeknallt, aber charismatisch wie der Teufel persönlich.
Roter Reiter – Fazit: Dahlens Reise in die Abgründe der menschlichen Psyche ist ungemein spannend. „Monster“ wird selbst hartgesottene Krimi-Fans aufwühlen und das von unzähligen „Tatort“- oder „Aktenzeichen XY“-Folgen eindimensional gezeichnete Täterbild um viele Facetten bereichern.

Oliver Ibelshäuser, www.roter-reiter.de

Zum Buch: Micael Dahlen: „Monster“; Campus 2014