Die Macht-Frage

Mittwoch, Oktober 5, 2016 Allgemein, Brainfood, Führen, Psychologie

„Alle Mächtigen“, sagte der kürzlich verstorbene israelische Politiker Schimon Perez einmal, „alle Mächtigen, die ich bisher näher beobachtet habe, sind ungeduldig und intolerant geworden, haben eitel das Maß ihrer Möglichkeiten überschätzt und Prinzipien sowie Freunde selbstherrlich aufgegeben.“ Macht ist ein Phänomen, das uns alle betrifft. Denn Macht spielt überall eine Rolle, nicht nur in der Politik, in der Wirtschaft, in Religion und beim Militär, sondern in jedem sozialen Gefüge. Selbst wenn nur zwei Menschen miteinander zu tun haben, ist Macht im Spiel. Und nicht nur bei Menschen. Auch im Tierreich ist Macht allgegenwärtig. In jeder Beziehung zwischen Lebewesen spielt Macht eine Rolle. Das zumindest sagt der amerikanische Psychologieprofessor Dacher Keltner in seinem neuen Buch „Das Macht-Paradox“, das im Campus-Verlag erschienen ist.

Macht haben bedeutet, die Welt verändern zu können

Macht bedeutet nichts anderes als Einfluss zu haben oder, plakativer formuliert, die Welt verändern zu können. Nicht nur im großen Stil, sondern auch im kleinen, in unserem eigenen Umfeld. Einen anderen Menschen dazu zu bewegen, etwas zu tun, was dieser von sich aus nicht tun würde, das ist ein Zeichen von Macht. Daher können Kinder genauso Macht haben wie Eltern. In Keltners Buch geht es um die Macht-Frage. Es geht darum, wie wir Macht erlangen, wie wir mit ihr umgehen, wenn wir sie haben, es geht um die Frage, wie wir Macht missbrauchen und warum wir sie verlieren. Und Keltner beschäftigt sich ebenfalls mit der anderen Seite der Macht, nämlich der Machtlosigkeit, ihren Folgen und der Frage, wie man Machtlosigkeit ins Positive umkehren kann.

Das „Macht-Paradox“

Im Zentrum des anspruchsvollen Buches, das die ganze Aufmerksamkeit des Leser fordert, steht aber das „Macht-Paradox“. Dieses besteht darin, dass ein sozialer Verbund derjenigen Person Macht verleiht (im Tierreich ist es genauso), die sich in besonderer Weise für die Interessen der Gemeinschaft einsetzt. Nun kommt es sehr häufig vor, dass diese Person im Laufe der Zeit die Bodenhaftung verliert und ihre Macht nicht mehr für die Interessen der Gruppe, also das Gemeinwohl, sondern für ihre eigenen Interessen einsetzt. In funktionierenden sozialen Gebilden führt dann dieses egoistische Verhalten dazu, dass die Gruppe dieser Person die Macht wieder entzieht. Die Macht-Haber versuchen natürlich, dies zu verhindern, oft durch (die Androhung von) Gewalt. Man denke an totalitäre Systeme. Und an dieser Stelle sind wir wieder bei unserem Eingangszitat von Schimon Perez. Oder beim ehemaligen amerikanischen Präsidenten Abraham Lincoln, der sagte: „Willst du den Charakter eines Menschen erkennen, so gib ihm Macht.“

Warum ist es – abgesehen von dem intellektuellen Aha-Erlebnis – wichtig, das Macht-Paradox zu kennen? Es ist wichtig, damit die Guten nicht nur an die Macht kommen, sondern in ihrer Machtposition immer daran denken, warum ihnen die Macht zuteil geworden ist und was ihr damit verbundener Auftrag ist.  Macht wird jemandem „verliehen“, da steckt das Wort „leihen“ drin. „Macht ergreift man nicht“, schreibt Keltner, „sie ist ein Geschenk.“ Und das Macht-Paradox zu kennen, ist auch für Mitglieder einer Gruppe wichtig, damit sie die Macht-Haber wieder degradieren können, sollten diese ihre Macht missbrauchen.

Roter-Reiter-Fazit: Jede Führungskraft sollte sich regelmäßig folgende Frage stellen: Würden meine Mitarbeiter mir auch dann folgen, wenn ich nicht qua Amt und Firmenhackordnung ihr Chef wäre? Daran erinnert das Buch „Das Macht-Paradox“ von Dacher Keltner. Und deshalb sollte es auf jedem Nachttisch einer Führungskraft liegen.

Damian Sicking, www.Roter-Reiter.de

Dacher Keltner: Das Macht-Paradox. Wie wir Einfluss gewinnen – oder verlieren. Campus. 203 Seiten, 22,95 Euro, ISBN: 3593399075

Dieses Buch jetzt bei Managementbuch.de bestellen!